Hier kommt die Hatze

Witzige Vorlesegeschichten für Kindergartenkinder und Erstklässler – wem der „Warumwolf“ gefallen hat, der wird die Hatze bestimmt mögen!

Hatzen sind außergewöhnliche Wesen. Halb Hund, halb Katze – deshalb machen sie auch „Miuff“. Wer das Glück hat, eine der seltenen, sehr intelligenten Hatzen im Haus zu haben, der hat einen praktischen Berater in allen Lebensfragen. Sie wissen, wie man ein Raumschiff baut und ein Hotel für Regenwürmer einrichtet, sie kennen die Drei-Schritt-Methode, wie man gemeine Kinder unschädlich macht, geben Tipps, wie man Milch mit der Nase aufschäumt, Gummibärchen doppelt so groß macht und im Kindergarten Gold findet. Und vieles mehr. Aber ihre Pflege ist manchmal nicht einfach. Mit Katzen- oder Hundefutter braucht man ihnen gar nicht erst zu kommen, und von Obst und Gemüse bekommen sie ein stumpfes Fell. Manche behaupten, sie ernährten sich hauptsächlich von Kakao und Waffeln, aber das ist vermutlich ein Gerücht. Sind sie unzufrieden, schließen sie sich im Klo ein und lassen niemanden mehr drauf. Werden sie frech, dann hilft nur, sie von Kopf bis Pfote mit dem Gartenschlauch nasszumachen, und was ist, wenn man gerade keinen Gartenschlauch zur Hand hat?

Kurz, als eine Hatze beschließt, bei Mia und ihrer Familie zu wohnen, wird Mias Leben nicht unbedingt einfacher. Aber viel lustiger!

Knesebeck Verlag
Mit farbigen und schwarz-weißen Illustrationen von Sabine Dully, 13 Euro, 112 Seiten.
Erhältlich im Buchhandel oder bei Amazon.


((Leseprobe))

Die Hatze taucht auf

Es ist etwas sehr Schönes, wenn ein Tier sich aussucht, bei einem zu wohnen. „Zulaufen“ nennen das die Erwachsenen. Und am allerbesten ist es, wenn einem eine Hatze zuläuft.

Aber das weiß Mia an diesem Tag noch nicht. Einem Sommertag, der bisher genauso blöd gewesen ist wie alle anderen in letzter Zeit. Gerade hat Levin, eins der anderen Vorschulkinder, sie geschubst und ihr Sand in die Augen geworfen. Natürlich so, dass Frau Krone es nicht gesehen hat. Und als Mia die Tränen in die Augen treten, sagt sein Freund Nico auch noch „Heulsuse, Heulsuse!“, und lacht.

„Du bist so gemein!“, schreit Mia zurück. Zum Glück wird nun eine Schaukel frei, Nico und Levin rennen hin und lassen sie in Ruhe.

Mia wischt sich eine Träne ab und schaut sich nach jemandem um, mit dem sie spielen kann. Doch das Problem ist, so jemanden gibt es nicht. Die anderen Kinder sind mit ihren Freunden beschäftigt, die sie alle schon ewig kennen. Bestimmt haben sie schon als minikleine Babys in Wiegen nebeneinander gelegen! Nur Mia ist mit niemandem hier befreundet, weil sie mit ihren Eltern und Benny erst vor ein paar Wochen hergezogen ist. Obwohl sie manche Kinder schon beobachtet hat und nett findet, zum Beispiel Lukas mit dem dunkelbraunen Wuschelkopf. Aber der spielt gerade mit jemand anderem. Also holt sie sich eine Schaufel und buddelt ein bisschen im Sand, bis die anderen endlich, endlich rufen „Mia die wird abgeholt, von der Polizei geholt!“

Immerhin wissen die anderen schon, wie sie heißt.

Am Gartentor steht zum Glück nicht die Polizei, sondern ihre Mama mit ihrem großen Lächeln und den vielen Locken, die genau die Farbe von Vollmilchschoko haben. An der Hand hält sie Benny, der gerade mit einem Stock am Zaun des Kindergartens Musik macht.

„Na, war´s gut heute?“, fragt Mama.

„Geht so“, sagte Mia. Ändern kann Mama schließlich nichts daran, dass es im Kindergarten so blöd ist. Um Nico und Levin zum Mond zu schießen, bräuchte man eine richtig starke Rakete, und sowas haben sie leider nicht zu Hause.

Wenn ich schon keine Freunde habe, denkt Mia, brauche ich wenigstens ein Haustier! Sie wünscht sich schon seit mindestens tausend Jahren eins. Also bettelt sie beim Abendessen mal wieder: „Ich hätte so gerne einen Hund, kann ich einen Hund haben?“

„Nein, leider nicht“, sagt ihr Papa, der manchmal ziemlich streng sein kann.

„Eine Katze wäre auch prima“, sagt Mia mit letzter Hoffnung.

Ihre Mutter schüttelt den Kopf. „Auch keine Katze – wir hätten gar nicht die Zeit, uns um die zu kümmern.“

Trotzig ruft Mia das erste, das ihr in den Kopf kommt. „Dann will ich eben eine Hatze!“

„Was ist das denn?“, fragt ihr Papa erstaunt.

„Sag ich euch morgen“, verkündet Mia und hilft absichtlich nicht beim Tischabräumen, weil in ihrem Bauch ein so großer Klumpen Traurigkeit ist. Mit so einem Klumpen kann man unmöglich Teller durch die Gegend tragen. Stattdessen geht sie rüber zu ihrem Lego-Haus mit dem großen Aussichtsturm, das sie gerade baut.

Auch am nächsten Tag macht sie daran weiter, nachdem sie den Kindergarten endlich überstanden hat.

„Das ist ein schöner Murm“, sagt ihr kleiner Bruder und streckt die Hand nach ihrem Haus aus. Zum Glück ist Mia schneller und hält ihn auf. „Ja, ja, weiß ich, Benny. Ein echt schöner Turm, aber Anfassen ist verboten!“

In diesem Moment klingelt es an der Tür. Neugierig hebt Mia den Kopf und geht aufmachen, obwohl sie das eigentlich nicht soll. Vielleicht ist es ja der Postbote.

Nein, kein Postbote. Vor der Tür steht ein seltsames Wesen. Es ist kein Hund. Es ist keine Katze. Irgendwie … beides. Es ist ungefähr doppelt so groß wie der Kater von nebenan. Zu dem grauschwarz gestreiften Fell hat das Wesen einen Hundeschwanz mit weißer Spitze, der gerade wedelt. Außerdem große Ohren. Fast so groß wie die einer Fledermaus.

„Äh, hallo“, sagte Mia, weil ihr nichts Besseres einfällt. Das Wesen trägt einen hellbraunen Koffer in der Schnauze. Ist es vielleicht doch eine Art Postbote, soll es den hier abgeben?

Mit freundlichen grünen Katzenaugen blickt das Wesen zu Mia hoch. „Hallo, Mia!“, hört sie es sagen, und zwar ganz deutlich, obwohl es doch eigentlich das Maul voll hat. „Du hast mich gerufen. Hier bin ich!“

„Dich gerufen?“ Mia rätselt. „Du bist ein Hund, oder?“

Das Tier schüttelt den Kopf.

„Dann bestimmt eine Katze!“

„Darfst nochmal raten“, sagt das Wesen.

Plötzlich erinnert sich Mia an ihre Haustier-Bettelei und strahlt.  „Oh, bist du etwa eine Hatze? Ich hab ja gesagt, dass ich eine will!“

„Ganz genau, und das hab ich gehört“, sagt das Wesen gut gelaunt, und dann marschiert es einfach an ihr vorbei ins Haus. Ganz selbstverständlich, so als würde es hier wohnen.

Aus dem Wohnzimmer erschallt ein lautes Krachen. O nein! „Benny, lass das!“, ruft Mia und rennt zurück, doch es ist schon zu spät. Benny schaut verlegen drein, und ihr schönes Haus mit den vielen Zimmern und dem Aussichtsturm ist nur noch ein Durcheinander. Dabei hat sie so lange daran gearbeitet!

„Gar kein Problem“, sagt die Hatze, senkt den Kopf, um den Koffer abzustellen, und geht mit Pfoten und Schnauze ans Werk. Mit offenem Mund schauen Mia und Benny zu. Mia hat kaum Zeit, siebenmal zu blinzeln, da steht ihr Haus schon wieder vor ihr und sieht sogar noch ein bisschen schöner aus als vorher!

„Danke, echt nett von dir“, sagt Mia. „Sind alle Hatzen so praktische Tiere?“

„O ja“, versichert die Hatze und blickt sich kurz im Wohnzimmer um. Zielstrebig geht sie auf Mamas Lieblings-Fernsehsessel zu, dem allerbequemsten Platz in der Wohnung. „Hatzen sind sehr intelligent. Aber es gibt nur ganz wenige von uns. Es war also Glück, dass ich gerade in der Nähe war und gehört habe, dass du eine Hatze brauchst!“

Fasziniert schaut Mia zu, wie die Hatze einen kurzen Umweg macht, um den Fernseher einzuschalten. Dann rollt sie sich gemütlich im Sessel zusammen. Mit der Schnauze drückt sie auf die Fernbedienung, um durch die Sender zu wechseln, und fragt: „Sagt mal, habt ihr kein Hatzen-TV?“

Erschrocken hörte Mia, dass ihre Mutter die Treppe herunterkommt, wahrscheinlich um zu sehen, was hier im Wohnzimmer los ist. O je, was wird sie dazu sagen, dass jemand ihren Sessel belegt? Und dazu, dass die Fernbedienung jetzt ganz viele Nasenabdrücke hat?

Als ihre Mutter sich umblickt, sackt ihr ganz langsam die Kinnlade herunter. „Mia, was ist das da in meinem Fernsehsessel?“ fragt sie ziemlich laut, nachdem sie den Mund wieder zubekommen hat.

„Eine Hatze natürlich – meine Hatze“, erklärt ihr Mia und wartet auf das Donnerwetter, das jetzt garantiert losbrechen wird. Doch noch während ihre Mutter Luft holt, legt die Hatze den Kopf schief, stößt ein leises „Miuff“ aus und schaut aus großen Augen zu ihr hoch. Und das Wunder geschieht.

„Also die ist wirklich sehr süß“, sagt ihre Mama und streichelte der Hatze über den Kopf. „Und so weich!“

„Aber hallo, hab mein Fell extra frisch abgeschleckt“, erklärt die Hatze, was ihre Mutter nicht mitzubekommen scheint. Vielleicht höre ich die Hatze nur in meinen Gedanken, überlegt Mia. Vielleicht kann nur ich sie hören, weil ich sie gerufen habe? Hoffentlich darf ich sie behalten!

Tatsächlich, noch bevor das Abendessen vorbei ist, hat ihre Mutter Mias Vater überredet. „Na gut, das Tier – was auch immer es ist – darf bleiben“, sagt ihr Papa und scheint sich ein bisschen über sich selbst zu wundern.

Die Hatze zwinkert Mia zu, und Mia zwinkert zurück.

„Toll!“, jubelt Benny. Weil gerade niemand hinschaut, schnappt er sich heimlich einen zweiten Löffel Schokocreme.

Mia lächelt still vor sich hin. Sie hat das Gefühl, dass ihre Eltern sowieso keine Wahl gehabt haben. Diese Hatze – ihre Hatze! – hat beschlossen, bei ihnen zu wohnen, und dabei bleibt es.

Mia hat so eine Ahnung, dass ihr Leben von jetzt an ganz anders werden wird – und bestimmt nicht langweiliger!

 

 

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